Prolog

In den Pyrenäen und den Alpen gibt es sie schon: die Hochroute. Warum also nicht dieses bewährte Konzept auf das größte Gebirge Nordafrikas übertragen. Und so entstand sie: die Idee zur Haute Route Haute Atlas (HRHA, analog zur Haute Route Pyrénéenne (HRP)). Doch wo fängt der Hohe Atlas an und wo hört er auf? Der Anfang ist einfach dort gewählt, wo die Berge aus dem Atlantischen Ozean steigen: am Cap Ghir nördlich von Agadir. Das Ende ist nicht ganz so klar definiert. Geologisch gesehen taucht der Atlas nach Osten hin immer weiter unter einer Deckschicht aus Sand ab. Als Tourende wurde Midelt gewählt. Östlich von Midelt befinden sich im Atlas keine hohen Erhebungen mehr und er geht fließend in die recht kleinen Wüstenberge der Sahara über. Außerdem bietet Midelt in der Region den mit Abstand besten Anschluss an den öffentlichen Fernverkehr. Die Route zwischen dem Cap Ghir und Midelt wurde so gewählt, dass sie möglichst nahe am Hauptkamm ist, dass dabei möglichst oft befestigte Wege (Pfade, Pisten) benutzt werden können, dass alle typischen Landschaftsbilder des Hohen Atlas mindestens einmal passiert werden, dass alle touristisch relevanten Gebiete gestreift werden, dass regelmäßiger Zugang zu Verpflegung, Trinkwasser sowie Unterkünften mit Sanitäreinrichtungen besteht und dass es in regelmäßigen Abständen Aus- und Einstiegsmöglichkeiten mit guter Verkehrsanbindung gibt.

Aus terminlichen Gründe bin ich den ersten Teil (Westlicher Hoher Atlas) im Frühsommer 2018 und den Rest im Frühsommer 2019 gelaufen.

2. Toubkal Atlas

25. Mai 2019: Konstanz – Frankfurt – Marrakesch

Auf dem Weg in ein neues Abenteuer: 12000m über Nordafrika

26. Mai 2019: erster Frust – Camping Gas ausverkauft, keine Feuerzeuge im großen Supermarkt und morgen fährt entgegen erster Auskünfte kein Bus in den Hohen Atlas. Typisch Afrika: irgendwie lässt sich im 2. Anlauf das meiste organisieren.

27. Mai 2019: Frust die 2.: zwar kein Bus, aber Sammeltaxis sollen vom Zentrum zum Tizi n’Test fahren, also schlage ich mich 3km durch die Souks. Dort heißt es, nein die Taxis dorthin fahren vom Busbahnhof ab. Also die 3km wieder zurück durch das Gedränge. Am Busbahnhof die Erkenntnis heute keine Sammeltaxis über die Berge, aber vielleicht doch ein Bus. Im Busbahnhof sagt man mir die Busse zum Tizi n’Test fahren vom Zentrum und nicht vom Busbahnhof ab. Mache mich wieder auf den Weg ins Zentrum um noch ein letztes Mal bei dem Hase-Igel Spiel mitzumachen. Dann sagt mir einer vom Taxistand dass heute weder Busse noch Sammeltaxis von irgendwo zum Tizi n’Test fahren. Irgendwie glaube ich das ihm mittlerweile. Sein Vorschlag Solo-Taxi für 70€. Für 3Std Fahrt über schwierige Bergstrassen noch ganz ok. Was bleibt mir anderes übrig. Ich steige ein. Bin froh später von meinem Gastwirt auf dem Tizi n’Test erfahren zu haben, dass es heute und in den nächsten Tagen wegen dem Ramadan tatsächlich keine andere günstigere Möglichkeit gegeben hätte hier hoch zu kommen . Der Fahrer hatte nen heißen Reifen. Musste mich danach erstmal ne Stunde ausruhen bis Hirn und Magen nicht mehr im Takt der Kurven umeinander kreisten.

28. Mai 2019: Start des „Toubkal Atlas“ Abschnitts ab dem Tizi n’Test, wo letztes Jahr die Etappe durch den westlichen Hohen Atlas geendet hatte.

Startpunkt am Tizi n’Test (2100m)

Klasse Gratwanderung im weglosen Gelände. Außer 3 Ziegenherden und einer Bartgeier-Familie bin ich hier oben alleine. Kurze Felsenpassagen und Krabbeln durch dichtes Buschwerk halten auf.

Viel langsamer als geplant. Wasservorräte werden nicht für die geplante Gratwanderung bis zum nächsten Wasserspot in 55km reichen. Muss wohl am Nachmittag auf dem einzigen Eselpfad weit und breit absteigen. Wasser aus Regen zu unsicher. Dann baut sich Wolkenfront auf. Juhu, doch Wasser. Plötzlich Donner. Ne, so ist das auch nicht gut auf dem exponierten Grat. Renne nicht bei Gewitter auf nem Berg rum und sammle Wasser mit meinem Poncho. Option Eselpfad gewinnt klar.

Gewitter zieht über Hohem Atlas auf.

Ich sause vom Gewitter getrieben bergab. Mit 30kg auf dem Rücken hinterlässt das Spuren an den Füßen.

Ein schneller Abstieg mit über 30kg im Rucksack hinterlässt seine Spuren.

Kaum unten Gewitter weg. Finde guten Biwakplatz unter Obstbäumen neben Bach. Entledige mich erstmal von den Blättern, Spinnen, Raupen und sonstigen blinden Passagieren die ich über den Tag weg eingesammelt habe.

29. Mai 2019: Ruhiger aber heißer Tag im Tal. Rucksack und Schuhe rubbeln weiter die Haut vom Körper. Am Nachmittag schöne Gite (www.tigmmi-ntmazirte.com) erreicht. Erstmal Wunden versorgen. Muss morgen pausieren. So geht es nicht weiter. Neugestaltung der Route obligatorisch und der Rucksack muss leichter werden. Außerdem heute erfahren dass der Toubkal wegen der Ermordung der zwei Skandinavierinnen noch gesperrt ist bzw. Guide-Pflicht besteht. Für mich keine Option. Zahle kein Geld für jemanden auf den ich im Notfall selbst aufpassen muss. Gut dass ich mit der Ausrüstung auch nachts unterwegs sein kann… nur so ein Gedanke 🙂 Aber auch der Gedanke bald wieder den Heimweg anzutreten und das Ganze zu einer früheren, kühleren und weniger gewitteranfälligen Jahreszeit fortzusetzen kommt mir in den Kopf.

01. Juni 2019: Folge Straße und später Piste durch grandiosen Canyon. Passiere zwei idyllische Berberdörfer. Plötzlich springt vor mir ein buckliges Kerlchen auf die Straße und ruft dreimal ‚Allahu akbar‘ und ein paar Kommentare auf schlechten Französisch, die man als antiwestlich deuten könnte. Halbstarker Geisteskranker oder eine ernste Gefahr? Bin jetzt auf alles vorbereitet. Und das kleine Kerlchen macht jetzt besser keine falsche Bewegung mehr. Alles bleibt ruhig, niemand ist in den Hang über der Piste. Das Kerlchen schaut mich aufgerissen Augen an und Sabber läuft ihm aus dem Mund. Doch nur ein armer Geisteskranker, der sich wichtig machen will. Jetzt redete er noch mehr Blödsinn, aber nach der Aktion hatte ich nicht das geringste Interesse mehr ihm zuzuhören. Bald hatte ich ihn dann auch abgehängt.

Canyon bei Ijoukak

Komme sehr schnell voran. Gewitter entstehen um mich. Aber da kein Wind weht werden die wohl dort bleiben wo sie entstanden sind. Bin jetzt wieder auf dem Grat. Und tatsächlich bekomm ich nur ein paar Tropfen ab, während die Gewitter südlich und westlich von mir vor sich hin donnern.

Am Abend erreiche ich eine Wiese in einem Hochtal umgeben von kargen und staubigen Hängen. Die Wiese ist perfekt: eben, weich, von Ziegen kurz geschnitten, die Heringe gehen rein wie in Butter. Von so einem Untergrund können viele Deutsche Campingplätze nur träumen.

Biwakplatz in einem Hochtal

02. Juni 2019: Über einen Pass geht es steil bergab in ein Tal mit einigen Berberdörfer und vielen saftig grünen Bäumen und Getreidefeldchen. Vom Tal auf 1800m beginnt der Aufstieg zum 2000m höher gelegenen Pass Tizi n’Ouagane – der Eingang zum Toubkal Nationalpark. Es ziehen allerdings schon früh wieder Gewitter auf und ich schlage mein Zelt bereits kurz nach Mittag in einem brach liegenden Terrassenfeld nahe einem kleinen Berberdorf auf, von welchem aus mich der Imam die ganze Nacht per Lautsprecher von der Moschee mit Gebetsgesängen beglückt. Nur die Klagerufe der Esel sind lauter.

Berberdorf Tamsoulte

03. Juni 2019: Um 5 Uhr morgens setzte ich den Aufstieg fort. In der kühlen Morgenluft erreiche ich den ersten Pass. Hier treffe ich auf ein Meisterwerk der Bergbauern. Ein über drei Kilometer langer Aquädukt fördert Wasser vom Wildbach aus dem Toubkal-Massiv durch steile und felsige Hänge über den Pass ins trockenere südliche Nachbartal um dort ein hochgelegenes Hirtencamp zu versorgen. Außerdem diente der Aquädukt als eine Art Tankstelle für die Eseltransporte in der sonst recht trockenen Südflanke des Hohen Atlas.

Der Pfad geht steil ein einsames Bergtal hinauf. Dann nach 2000 Höhenmetern in knapp 4000m Höhe das was man nicht sehen möchte: Der Pass ist von einer fast senkrechten 20 Meter hohen Schneewächte blockiert. Ich entscheide mich über die porösen Felsen auf der Westseite hinauf zu bouldern. Auch wenn ab und zu Gestein unter mir wegbricht und krachend die 200 Meter Geröllhang unter mir hinabpoltert schaffe ich es Schritt für Schritt auf den Pass. Auf der Rückseite geht ein einfacher Pfad zum Refuge Toubkal, dem Basiscamp für die Besteigung des gleichnamigen Berges.

Auf dem Tizi n’Ouagane

04. Juni 2019: Massentourismus am höchsten Berg Nordafrikas. Warum soll es diesem Berg auch anders ergehen als all seinen Kollegen weltweit, welche die höchsten Erhebungen von irgendwelchen anderen Regionen sind. Die Touristen strömen von der einfach zu begehenden Nordseite von Imlil aus in das Basiscamp. Der Komplex aus 2 Hütten bietet Platz für bis zu 200 Menschen, verfügt über Strom aus Wasserkraft und warme Duschen durch Gasbrenner. Und das ganze in 3200m Höhe.

Refuge CAF Toubkal und Les Mouflons

Im Stundentakt ziehen Eselkaravanen den Trail entlang um Proviant und Gepäck der Touristen nach oben und Müll wieder nach unten zu befördern. Habe den Eindruck, dass manche Touristen Gepäck für einen vierwöchigen Aufenthalt in Ostsibirien und nicht für eine eintägige Sommerbesteigung des Toubkal dabei haben. Hatte gestern Nacht Wäsche gewaschen. Als ich die frisch duftenden Sachen auf meine zuvor aufgespannte Leine aufhängen wollte, hatten dort bereits vier ältere Herren aus Frankreich mit Ostsibiriengepäck ihre stinkenden Socken aufgehängt. Ergo, morgen penn ich wieder im Zelt, definitiv!

Um 5 Uhr beginnt der Aufstieg. Nichts besonderes. Nur sehr viele Touristen mit ihren pseudo Bergführern. Ich war ja um die Bergführerpflicht herumgekommen, da ich über diesen unmöglichen Pass gestern quasi durch die Hintertür in den Nationalpark gelangt bin. Und die Polizeisperren sind weit unten im Tal nahe Imlil. Das Sicherheitsargument für die Bergführerpflicht nach dem Anschlag von letztem Jahr ist ohne jegliche sachliche Grundlage. Die pseudo Bergführer haben ja schließlich keine Nahkampf- und Antiterror-Ausbildung. Es steigt damit auch nicht die Gruppengröße, da die Community der Guides darauf aus ist, dass möglichst viele Einzelpersonen einen Guide bekommen, da dies unter dem Strich mehr Geld für die Community bringt. Darüber hinaus haben wohl viele Guides nichtmal medizinische Grundkenntnisse für die Erstversorgung, da dort oben manche Guides ohne Rucksack herumlaufen und damit für Unfälle ihrer Kunden auch nicht vorbereitet sein können. Leider also alles nur Geldmacherei. Eine Tour auf den Toubkal kostet für manche mehr als der Flug von Europa nach Marrakesch. Und das ganze staatlich angeordnet und auf den Rücken zweier ermordeter Studentinnen ausgetragen. Kein Vorwurf an die Guides. Die müssen ohne nennenswertes Sozialsystem zusehen wie sie ihre Familien ernähren. Nur der marrokanische Staat macht hier ein ganz schlechtes Bild. Die Polizeisperren sind übrigens nur morgens besetzt, wenn die meisten Touristen zur Besteigung aufbrechen. Nachmittags bis nachts kann jeder unbehelligt zum Refuge Toubkal hochspazieren.

Und über die Bergwelt wacht… Manche Geschichten der Berber entstammen der altägyptischen Mythologie. Aber ist alles nur Mythos…?

Ich löse mich bei knapp 4000m Höhe von dem Menschenstrom und besteige meinen ersten 4000er, den Toubkal Westgipfel. Hier bin ich völlig allein und sehe der Ameisenstraße auf den Hauptgipfel von Weitem zu. Grandiose Aussichten ergeben sich von dem schroffen Grat aus. Das ist Bergfeeling pur auf dem Dach Nordafrikas.

Vom Westgipfel zum Hauptgipfel ist es weder weit noch technisch anspruchsvoll. Auch eine Erkältung, die ich mir vor zwei Tagen eingefangen hatte, ist kaum spürbar. In dieser Höhe denkt man weniger. Dafür sind die wenigen Gedanken schneller – wie Autofahren auf einer leeren Autobahn 🤣🤔

Auf dem Gipfel des Jebel Toubkal (4167m)

Der Abstieg erfolgt über eine Nebenroute weiter im Nordwesten. Der Weg dorthin ist etwas anspruchsvoller, einmal an einem Felsen über einer steil abfallenden Felsrinne entlanghangeln, dann wird es wieder einfacher. Totalabsturz! Nein, nicht bei mir, aber hier liegen die Trümmer eines alten portugiesischen Militärflugzeugs über hunderte Meter verstreut in der Bergflanke des Toubkal.

Gegen Mittag passiere ich wieder das Refuge Toubkal und steige gleich wieder auf den fast 3800m hohen Tizi n’Ouanoums hinauf, über den ein aufwendig angelegter Eselpfad durch steile Geröllhänge und Felsen führt. Oben treffe ich zwei junge Pärchen aus Colorado, die auch über einen Seiteneingang bergführerfrei in den Nationalpark gelangt sind. Dann steige ich 1500 Höhenmeter durch einen wilden und einsamen Canyon zum Lac d’Infi hinab, einem großen natürlichen Bergsee am Ende eines riesigen Geröllfeldes. Dort schlage ich mein Zelt auf einem offiziellen, aber einsamen Campingplatz auf.

05. Juni 2019: Es geht nun auf einer Piste durch kleine Berberdörfer ins Tal hinab. In der Mittagshitze der kahlen Südflanke geht es nun wieder 1200 Höhenmeter auf einem Eselspfad hinauf.

Über einen Pass gelange ich in ein Hochtal mit einem klaren Bach, der an einem 4000er entspringt und von saftig grünen Wiesen umgeben ist. In dieser Region trennt oft nur ein Pass völlig verschiedene Klimazonen voneinander.

Auf dem Weg in eines der abgelegenen Hochtäler, im Hintergrund sanfte 4000er.

Und wieder finde ich den idealen Boden zum Zelten. Gegen Abend quacken die Frösche um die Wette und Grillen zirpen in den trockneren Gewächsen an den Berghängen. Mein Zelt steht direkt an einer großen Eselroute. Es kommen zwar nicht viele Menschen vorbei, dafür gibt es aber Eseltransporte die ganze Nacht durch. Hier wird hauptsächlich frisches Gras aus den Hochtälern in den trockeneren Süden befördert und Orangen und andere Waren gehen wieder zurück zu den Bergbauern in die rauhen Hochtäler. Wenn ich vor dem Zelt sitze werde ich immer gefragt ob es mir gut geht und ob ich irgendetwas brauche – und ganz unaufdringlich. Die Berber hier oben sind unglaublich nette und hilfsbereite Menschen.

Zeltplatz an einem Bach in 3000m Höhe

06. Juni 2019: Ein Eselpfad führt mich über Pässe und durch Bergbauernhöfe sowie kleine abgelegene Berberdörfer von Tal zu Tal. Unvorstellbar, dass hier auch noch sehr betagte Menschen die bis zu 400m tiefen Canyons auf den Eselpfaden überwinden um ins nächste Dorf zu gelangen – und zwar ohne Esel.

Ziegenställe und Brücken aus Wacholder-Baumstämmen

Mit der untergehenden Sonne kommen auch die Ziegenherden von den Höhen hinab in die Dörfer.

Blumen über einem Bergbauernhof

Es ist schon fast dunkel. Ich balanciere auf einem an den Felsen betonierten Aquädukt. Keine Ahnung ob der so ein Gewicht aushält, aber es ist eine effiziente Abkürzung. Er hält mich aus. Ich erreiche Ait Boulmane im Dunkel der Nacht und finde schnell ein kleines Appartment, wo mir eine leckere Tagine zubereitet wird.

Der Hohe Atlas ist reich an Bodenschätzen.

07. Juni 2019: Eigentlich könnte ich von hier aus weiter nach Osten laufen und dem Verlauf des Hohen Atlas folgen. Der Toubkal Nationalpark hat aber noch so viel auf seiner Nordseite zu bieten, dass ich von hier aus nochmal eine mehrtägige Rundtour zurück in den Park unternehme. Über eine Piste erreiche ich das Berberdorf Timichi und ein junger Mann fragt mich, ob ich nicht in der Gite des Dorfes übernachten möchte. Er ist dabei sehr höflich und zurückhaltend. Sage ihm, dass ich nicht nach sondern durch Timichi gehe. Er versteht das erst als ich in dem Dorf an der Gite vorbei weiterlaufe. Er sieht auf einmal sehr traurig aus und begreift nur langsam, dass der einzige Tourist, der seit vielen Tagen hier vorbeikommt, noch nichtmal für einen Tee bleibt. Ruhig lässt er mich weiter ziehen. Er und die anderen Dorfbewohner, welche sich viel Mühe geben hier oben eine Gite am Laufen zu halten, tun mir Leid. Aber es ist erst Mittag und der Tag noch sonnig und lang. Ich will diesen Tag nutzen und ziehe weiter.

Nach einem langen Aufstieg führt die Piste auf einem 3000 Meter hohen Grat mit herrlichen Ausblicken auf das Toubkal-Massiv im Süden und den Rand das Gebirges mit der Ebene um Marrakesch im Norden in das Skigebiet Oukaïmeden. Dieses ist von vielfältigen Blumenwiesen umgeben. Zeit für ein Blumengalerie-Spezial! (siehe letztes Kapitel in diesem Blog, hab hier auch Blumen reingepackt, die ich in den vergangenen Tagen fotografiert habe)

08. Juni 2019: Organisationstag im CAF Refuge in Oukaïmeden.

09. Juni 2019: Am nördliche Rand des Hohen Atlas geht es auf einsamen Eselpfaden nach Westen in das ländliche Berberdorf Tizi Oussem. Dort wohne ich in einer Gite, die von einem sehr betagten Berberehepaar geführt wird. Der über 80jährige Bergbauer wirkte recht jung und ist immer zu Scherzen aufgelegt. Kein Wunder, war er doch 40 Jahre Skilehrer in Oukaïmeden.

10. Juni 2019: Vorbei an Wasserfällen und über einen 3500 Meter hohen Pass geht es am Refuge Toubkal vorbei die Hauptroute hinab nach Imlil. Hier herrscht großes Gedränge. Nahezu jedes zweite Haus ist eine Unterkunft für Touristen. Finde ein ruhiges und sauberes Hotel für umgerechnet 8€.

11. Juni 2019: Über den Tizi n’Tacheddirt geht es 35 Kilometer in einem langen Tagesmarsch zurück ins Ourika-Tal, wo sich meine Runde durch den Nordteil des Toubkal Nationalparks schließt.

12.-15. Juni 2019: Organisationstage mit Besorgungen in Marrakesch und massive Überarbeitung der geplanten Route für die nächsten Wochen basierend auf den Erfahrungen der bisherigen Tour. Dabei liegen Schwerpunkte auf der Reduzierung von weglosen Strecken, Begradigung des Streckenverlaufs und Reduzierung des mittleren Abstandes zwischen Trinkwasserzugängen.

4. Östlicher Hoher Atlas

10. Juli 2019: Der See Isli stellt den Eingang in den Nationalpark des östlichen Hohen Atlas dar. Das Wasser ist blau, die Berge rot und der Wind sorgt für die Brandung.

Durch eine kurze Schlucht geht es nach Norden. Der Wind ist hier so stark, dass es zur Bildung von Sandteufeln kommt. Einmal erwischt mich so eine kleine Windhose und pumpt mir den Sand unter die Kleidung und in die Taschen. So heftig war der Wind auf der ganzen Tour noch nicht. Aber es soll noch heftiger werden. Dazu später mehr.

Es geht hinab in ein langgestrecktes Tal nach Agheddou. Ein weiteres Mal überrascht mich der Hohe Atlas mit einem neuen Gesicht: Nadelwald.

Nach Einbruch der Dämmerung begegne ich einem schwarzen Reiter auf einem schwarzen Pferd. Es ist ein alter bärtiger Mann mit einem Kapuzenumhang. Er wohnt im nächsten Dorf, bietet mir aber an in seinem nahegelegenen Farmhaus zu schlafen.

11. Juli 2019: Die Bäume mit einem Stammdurchmesser von bis zu zwei Metern sind ziemlich imposant. Allerdings sind leider auch deutliche Spuren von Rodungen zu sehen. Am Anfang geht es nur durch Wald.

Ich will Strecke machen. Es geht auf einer Piste weiter. Über Agoudim erreiche ich das Berberdorf Massou, wo ich vom Besitzer der lokalen Boutique zum Übernachten eingeladen werde.

12. Juli 2019: Mit 12 Liter Wasser breche ich in die Berge auf. Zumindest der Weg ist einfach, da es fast ausschließlich auf Pisten entlang geht. Am Abend schlage ich mein Zelt auf einer kleinen Wiese in einer Schlucht östlich des Jbel Ayachi, dem dritthöchsten Berge des Hohen Atlas, auf. Dies ist zugleich mein Basiscamp für dessen Besteigung. Kräftige Windböen verbiegen mein Zelt im Wechseln mit kurzen Regenschauern.

13. Juli 2019: Über die Piste geht es zum Jbel Ayachi. Es ist ein ständiger Kampf gegen den extrem starken Wind. Dieser ist sogar im Stande kleinere Steine über den Boden zu bewegen. Doch nichts hält mich mehr auf und ich erreiche den Gipfel.

Querfeldein erreiche ich den Abstiegspfad, der in einem sehr langen Tal endet, welches mich bis nach Midelt, dem Ziel der gesamten Tour, begleitet. Am Anfang hat das Tal noch Hochgebirgscharakter, dann kommen die ersten Hirtencamps, später kleine Felder und schließlich unterhalb einer kleinen Staustufe eine intensive Landwirtschaft.

Midelt! Es ist geschafft. Über 1300 Kilometer Strecke und 46.000 Höhenmeter liegen hinter mir!

Zentraler Hoher Atlas

16. Juni 2019: Heute lerne ich wieder ein ganz neues Gesicht des Hohen Atlas kennen. Es geht fast den ganzen Tag über saftig grüne Wiesen auf einer Hochebene auf der Nordseite des Hohen Atlas.

Berberdörfer mit Terrassenfeldern nahe Sitti Fatma

Die Sonne lockt Reptilien und sonderbare Rieseninsekten auf die warmen Festplatten am Rand der Blumenwiesen.

Beim Abstieg von der Hochebene finde ich einen Biwakplatz in einem urigen Steineichenwald. In der Ferne erklingen am Abend Trommeln und Gesang aus einem kleinen Berberdorf, die von einem großen Fest zeugen.

17. Juni 2019: Es freut mich ja meistens durchaus zum Übernachten hier irgendwo eingeladen zu werden. Und so stimme ich erstmal der Einladung eines Mopedfahrers zu, der mir am späten Nachmittag auf einer staubigen Piste aus einem kleinen Berberdorf nahe der Bundesstraße von Marrakesch nach Ouarzazate entgegen kommt. Wenige Minuten später kommt mir ein weiterer Mopedfahrer entgegen, der mich nicht nur zu sich einlädt, sondern auch den ersten Mopedfahrer schlecht redet. Als dann noch ein dritter Mopedfahrer mich auf sehr penetrante Weise zu sich einlädt, reicht es mir und ich verfolge meinen ursprünglichen Plan in einem grünen Plateau im Zelt zu übernachten. Ich vermutete nun hinter den Einladungen kommerzielle Absichten, die vermutlich durch die Nähe zu der stark von Touristen genutzten Bundesstraße unten im Tal motiviert wurden. Der letzte Mopedfahrer folgt mir noch zu Fuß bis zum Rand der Hochebene und als dieser dann doch endlich verschwunden ist, schlage ich mein Zelt auf perfektem Gras und vor der Kulisse einer imposanten Felskulisse auf.

18. Juni 2019: Viele Gebiete im Hohen Atlas werde derzeit durch den Bau neuer Pisten an das motorisierte Verkehrsnetz angeschlossen. Das führt teilweise zum Verfall alter Mulipfade wie dem von Taddert über den Hauptkamm in die ehemalige Karavanenstadt Télouet auf der Südseite des Gebirges.